Die 60er Jahre holen uns ein

Donnerstag, 25. Mai 2023

Die Babys der 50er- und 60er-Jahre, die «Babyboomer» - von ihren woken Kindern und Enkeln manchmal etwas abschätzig als «Boomer» bezeichnet - gehen in Rente und überlassen uns unserem Schicksal. Oder besser: die Unternehmen. Denn für die Arbeitnehmenden sind sie ein Glücksfall. Die Konjunktur mag brummen oder kriseln, die Börse sich aufwärts, abwärts oder in Kreisen bewegen: Der Arbeitsmarkt wird sie alle noch für Jahre willkommen heissen, ob Ü50 oder GenZ.

Ein Megatrend gebärt einen Trend: den Fachkräftemangel. Die demografische Alterung hat einen Schluckauf in der Lieferkette von Humankapital verursacht, der seinen Ursprung in den fernen wilden 1950ern und 1960ern hat. Denn so viele Arbeitskräfte, wie damals «vom Band» liefen, rücken nicht nach. Derzeit und in den kommenden Jahren werden gemäss einer Studie der Universität Basel die geburtenstarken Jahrgänge der Fünfziger- und Sechzigerjahre – die Babyboomer ­- pensioniert. Das verändert auch den Arbeitsmarkt: Während 2015 noch 62 Prozent der Schweizer Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahre alt waren, dürfte dieser Anteil bis zum Jahr 2035 auf 56 Prozent sinken. Und bis 2060 könnten der Schweizer Wirtschaft bis zu 1,4 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Unternehmen haben bereits heute Mühe, qualifizierte Fachkräfte zu rekrutieren. Dieser Mangel wird sich noch verschärfen.

Gut für «Gen Z»
Gerade noch gefehlt hat der Wirtschaft, was man über die nachrückenden Generationen sagt: Diese würden lieber weniger als mehr arbeiten wollen (Anmerkung der Redaktion: das wollten wir eigentlich auch). Insbesondere der Generation Z oder «Gen Z», also den zwischen 1995 und 2010 Geborenen, wird nachgesagt, nun ja, nicht gerade Workaholics zu sein, dafür aber hohe Ansprüche an die Arbeitgeber zu haben. Das wäre womöglich nur schwer durchsetzbar, wenn sich die Boomer, die geburtenstärkste Kohorte des letzten Jahrhunderts, nicht gerade reihenweise zur Ruhe setzen würden.

Besser für Ü50
Eine weitere Kohorte profitiert bereits. Über 50-Jährige finden wieder leichter einen Job, ja teilweise einfacher als Jüngere, wie dem Portal «Vorsorgeforum» zu entnehmen ist. Der Fachkräftemangel in der Schweizer Wirtschaft entschärft das Stigma, das für über 55-Jährige lange galt und manchmal schon 50-Jährigen den Schlaf raubte, nämlich am Arbeitsmarkt gut zwei Jahrzehnte nach dem Uniabschluss bereits unvermittelbar zu sein. Die Arbeitslosenquote ist bei den 50- bis 64-Jährigen in den letzten paar Jahren von über drei Prozent auf 1,9 Prozent gesunken. Sie liegt damit unter der Quote der 25- bis 49-Jährigen von zwei Prozent.

Gegensteuer Makroebene: Inklusion
Nach dem Gesagten liegt eine Möglichkeit besonders nahe, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, und sie wird bereits genutzt: Ältere Menschen könnten wieder vermehrt in den Produktionsprozess eingebunden werden. Denn dieses Reservoir wird sich weiter füllen. Die Menschen leben nicht nur länger, sondern sie sind auch länger fit – und dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken.

Dazu gehört die Flexibilisierung des Pensionierungsalters. Wer länger arbeiten will, soll das tun können. Die Idee wurde teilweise schon mit der AHV-Reform vom September 2022, die 2024 in Kraft tritt, sowie mit der vom Parlament verabschiedeten BVG 21 (Referendum vorbehalten) in die Wege geleitet. Die Reform der ersten Säule hat das Pensionierungsalter für Frauen auf das für Männer (65) angehoben und spricht dabei nur noch von einem Referenzalter. Neu wird man nämlich seine erste AHV-Rente flexibel zwischen 63 und 70 abrufen können. Die BVG 21 hat zudem die BVG-Lohnabzüge vereinfacht. Diese waren für ältere Arbeitnehmende bisher viel höher, was sie auf dem Arbeitsmarkt künstlich unattraktiv machte. Die Reform sieht nur noch zwei statt vier Stufen von Lohnbeiträgen an die BVG vor, der Zuschlag für Personen ab 55 Jahren entfällt. Die Beiträge für 25- bis 34-Jährige belaufen sich derzeit auf sieben, für 35- bis 44-Jährige auf zehn Prozent. Neu sollen sie für alle von 25 bis 44 Jahre neun Prozent betragen. Eine ähnliche Vereinfachung gibt es für die Klasse von 45 bis 65 Jahre, wo neu vom Lohn einheitlich vierzehn Prozent für die berufliche Vorsorge abgegeben würden. Derzeit sind es fünfzehn Prozent von 45 bis 54 und 18 Prozent von 55 bis 65 Jahre.

An die Arbeit
Eine von der PKG Pensionskasse in Auftrag gegebene Studie legt nahe, dass der wachsende Anteil der Bevölkerung im Ruhestand in Verbindung mit den Trends zu Individualisierung und Selbstbestimmung zu einer Abnahme der Solidarität der jüngeren Generationen führen wird, auch in der Vorsorge. Erwerbstätige werden weniger bereit sein, Kapitalmarkterträge ihrer Vorsorgegelder zur Bezahlung garantierter Renten der Pensionierten abzweigen zu lassen. Eigentlich spart in der zweiten Säule ja jeder Versicherte ein Guthaben an, das für die Finanzierung seiner eigenen Versicherungsleistungen verwendet wird. Viele Pensionskassen müssen aber Geld von den überobligatorischen Guthaben umverteilen, um ihre obligatorischen Rentenversprechen zu halten. Dadurch verzinsen sie die angesparten Altersguthaben der Rentner höher als die der aktiven Erwerbstätigen. Die Individualisierung dürfte aber auch bei den Lebensentwürfen der Pensionierten, die einen immer längeren Horizont haben, eine Rolle spielen. Gut möglich, dass auch die Arbeit wieder dazugehört.

Gegensteuer Mikroebene: Lohn und Arbeitsbedingungen
Durch die Kombination der jüngsten Inflationsschübe und des Fachkräftemangels sind die Löhne in der Schweiz so stark gestiegen wie seit über zehn Jahren nicht mehr.  Wie die Credit Suisse in ihrem Monitor Schweiz jüngst schrieb, versuchen Unternehmen aber nicht nur über Löhne, sondern mit attraktiven und das heisst vor allem auch flexiblen Arbeitsbedingungen dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Der Kampf um Mitarbeitende wird aber nicht nur mit Teilzeit und Home Office entschieden. Auch innovative Vorsorgelösungen können helfen, Talente anzuziehen. Der Lohn spielt zwar weiterhin eine Hauptrolle. Arbeitnehmende – auch jüngere – achten aber vermehrt auch auf die Pensionskasse ihres Arbeitgebers. Die Altersvorsorge geniesst in der Schweizer Bevölkerung seit jeher eine hohe Priorität, wie das Sorgenbarometer der Credit Suisse regelmässig protokolliert. Ein höherer Arbeitgeberbeitrag als gesetzlich vorgeschrieben etwa wäre gerade für junge Menschen ein Signal: «Du kannst deinen Lohn fürs Leben brauchen, wir investieren in deine Zukunft.»