Vorsorge im 21. Jahrhundert: Der Kunde schaltet sich ein

Donnerstag, 28. Sep 2023

Die Digitalisierung verändert nicht nur die internen Prozesse in der Verwaltung der Vorsorgeeinrichtungen, sondern auch die Ansprüche der Kunden. Diese suchen Partizipation und aktive Einflussnahme. Vorsorgeeinrichtungen müssen vermehrt in virtuellen Räumen präsent und kompetent sein. Einen radikalen Bruch mit dem System wünschen sich aber weder Experten noch das breite Publikum.

Die Sozialversicherungssysteme der Industriestaaten haben sich im 20. Jahrhundert als Antwort auf ökonomische und soziale Bedingungen entwickelt, die durch rasantes Wirtschaftswachstum, junge Erwerbsbevölkerung und stabile Arbeitsverhältnisse gekennzeichnet waren. Diese Bedingungen seien im 21. Jahrhundert zunehmend nicht mehr gegeben, stellt eine Studie der Universität St. Gallen fest. Als Hauptursache ortet sie die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft: Der Wettbewerb wurde aufgrund neuer Kommunikationsmittel globaler, die Erwerbsbiografien flexibler, durchbrochener und instabiler. Die Werte in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt haben sich entsprechend verändert. Stichworte sind Mikrounternehmer, digitale Nomaden und die zunehmende Präferenz für Teilzeitanstellungen. Damit verändern sich auch die Anforderungen an die Vorsorge ­– etwa aufgrund schnellerer Wechsel des Arbeitgebers und damit der Vorsorgeeinrichtung. Diese Wechsel sollen keine prägenden Einschnitte im Leben sein, sondern im Gegenteil schnell und unbürokratisch gestaltet werden können. Gemäss HSG-Studie wünschen sich weder die befragten Experten noch die Bevölkerung einen radikalen Systemwechsel in der Vorsorge, sondern mehr Flexibilität, Transparenz und Gestaltungsmöglichkeiten. Dazu zählen Vorsorgeportale, die einen Überblick über alle Vorsorgeleistungen geben und die aktive Teilnahme an Vorsorgeentscheidungen bieten.

Digitalisierung interner Prozesse reicht nicht
Digitalisierung ist ein Prozess, der seit Jahrzehnten wirkt. Vorteile wie Rationalisierung des Tagesgeschäfts sind daher weder überraschend noch neu. Digitalisierung kann Vorsorgeeinrichtungen bei der Abwicklung des Alltagsgeschäfts unterstützen, sei es bei der Konto- und Dossierführung oder bei der Historisierung. Jede Pensionskasse verarbeitet Geschäftsfälle, im Zuge derer persönliche Dokumente der Versicherten angelegt werden müssen. Dazu zählen Briefe, Vorsorge- und Steuerausweis, die bisher ausgedruckt und verschickt oder im Dossier abgelegt werden. Dank Digitalisierung können die Dokumente direkt im Online-Profil der versicherten Person gespeichert werden. Idealerweise wird diese per E-Mail oder SMS informiert, dass neue Dokumente vorliegen – wie dies etwa bei Krankenkassen Standard ist. Das spart Zeit in der Kommunikation und schont Ressourcen: Es wird nur noch ausgedruckt, was gedruckt vorliegen muss. Digitale Dossierführung oder Archivierung erlauben zudem eine standortunabhängige Präsentation und Verarbeitung von Unterlagen – digitale Nomaden dürften da ganz besonders aufatmen.

Kundenintegration auf Portalen
Doch die «Modernisierung» interner Prozesse genügt nicht mehr – dazu eröffnet die Digitalisierung zu viele Möglichkeiten, deren Anwendung heute erwartet wird. Schon heute bewegt sich die Art und Weise, wie Informationen im Versicherungswesen ausgetauscht werden, zwar weg von Papier und Telefon hin zu Onlineplattformen. Der Versicherte will aber nicht mehr nur passiver Empfänger von Informationen sein, sondern seine Vorsorge aktiv beeinflussen können.

Interaktionsmöglichkeiten bieten vor allem (nutzerfreundliche) Online-Portale. Statt Formularen, die von Hand ausgefüllt und zurückgeschickt werden müssen, können auf einem Kundenportal Eingaben digital erfasst werden, zum Versand reicht ein Klick. Portale eröffnen den Weg von der Kundenorientierung zur Kundenintegration – davon profitieren beide Seiten. Bekanntestes Beispiel dürfte das Onlinebanking sein, wo Kunden jene Aufgaben selbst erledigen, die früher Angestellte verrichteten. Portale müssen mehr als einen zeit- und ortsunabhängigen Zugriff auf eigene Daten und Ausweise bieten. Versicherte sollen dort direkt mit ihrer Pensionskasse kommunizieren und ihre Entscheide mitteilen können. So werden sie in die unternehmerischen Prozesse integriert.

Personalisierung
Die Personalisierung spielt mit dem Nachrücken jüngerer Generationen als Konsumenten und auch als Mitarbeiter eine Rolle. Auch wenn sich wohl schon ältere Generationen ganz auf sie zugeschnittene Angebote gewünscht hätten, wurde dies erst durch die Entwicklung der digitalen Technologien in den letzten 20 Jahren möglich. Für neue Generationen sind diese Technologien selbstverständlich und sie konnten ihren Gebrauch beim Aufwachsen lernen. Das gilt insbesondere für Angehörige der Generation Y und jünger, also jene, die nach 1980 geboren wurden (Millennials). Diese Digital Natives sind kaum noch für klassische Wege des Informationsaustausches empfänglich.

GenZ erreicht Institutionen
Digital Natives machen ihre Ansprüche nicht nur als Versicherte geltend, sie sind unterdessen auch selbst für Institutionen wie Pensionskassen tätig sowie für deren Stakeholder, also etwa Versicherungen, Banken, Unternehmen und den Staat. Die für die jeweiligen Anspruchsgruppen relevanten Informationen müssen unabhängig von Ort, Zeit und verwendetem Gerät (PC, Notebook, Tablet oder Smartphone) verfügbar sein.

Simulationen und Vorsorgeanalysen: sich an die Realität herantasten
Die Digitalisierung in der beruflichen Vorsorge muss auch in ihrem Kerngeschäft, also dem Angebot von Vorsorgeprodukten, weiterentwickelt werden. Ein Weg dazu ist die auf bestimmte Lebensphasen abgestimmte Vorsorgeanalyse. Eingeben muss der Versicherte seine Daten und Präferenzen zwar auf absehbare Zeit noch immer selbst. Dann aber kann das Portal professionelle Vorschläge zur Anpassung seiner Vorsorgesituation machen. Der digitale Finanzcoach ist 24 Stunden am Tag erreichbar.

Zur Personalisierung tragen auch die immer beliebteren Simulationen bei, mit denen der Kunde spielerisch verschiedene Szenarien durchrechnen und sich ein Bild über seine Vorsorge machen kann. Dies dient ihm insbesondere, um sich auf ein Gespräch mit seiner Pensionskasse vorzubereiten – etwa, wenn es um die Finanzierung von selbst bewohnten Immobilien, die Leistungsverbesserungen durch Einkäufe oder die Folgen einer Scheidung geht. Weitere Themen können die Teilpensionierung oder der Mix zwischen einem Kapital- und einem Rentenbezug bei Pensionierung sein.

Strategische Aufgabe
Eine professionelle Online-Plattform bringt Daten und Prozesse so zusammen, dass sowohl für Versicherte als auch für die Vorsorgeeinrichtung Nutzen freigesetzt wird. Auf absehbare Zeit dürften digitale Dienste und Plattformen den persönlichen Kontakt ergänzen, nicht ersetzen. Dies entbindet aber nicht davon, im Rahmen der Pensionskassenstrategie zu entscheiden, in welcher Form die Digitalisierung die Zukunft mitbestimmen soll.